Sektion am 5. MGV-Kongress: Region(en) von Mitteleuropa - Historische, kulturelle, sprachliche und literarische Vermittlungen

Migranten, Schmuggler, Grenzer und Grenzbewohner. Eine Donau „von unten“

11.-14.10.2017 an der ELTE in Budapest


Vor allem durch die Neuordnung Europas nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie wurde die Donau ein wichtiges Element verschiedener „symbolischer Geografien“ (Said), die besonders in Umbruchzeiten intensiven Umschreibungsprozessen unterworfen waren. Mit der Metapher des Bandes und auch der Grenze erfasst, kartografierte der Strom Relationen der Donau-Länder und einzelner Regionen untereinander wie auch ihre Position innerhalb eines größeren europäischen Zusammenhangs.

Doch nicht von Eliten vorgeschlagene regionale und überregionale Ordnungsvorstellungen stehen im Mittelpunkt dieser Sektion, sondern Handlungen und Praktiken von Einzelnen oder von Gruppen, die in Interaktion mit dem Fluss Informationen über menschliche Problemlösungsversuche und deren identitätsstiftende räumliche Orientierungen geben.

Mit Migranten, Schmugglern und Grenzern als „zeitweiligen Bewohnern“ des Stroms erhält man Einblicke sowohl in Räume und ihre Vernetzungen als auch in Orte als sozio-ökonomische Klammern menschlicher Lebenswelten. Sie integrieren die Donau in dynamische (Migranten, Schmuggler) oder statische Szenarien (Grenzer) und geben in beiden Fällen „von unten“ Aufschluss über mit dem Strom zusammenhängende räumliche Semantisierungen.

Ausgehend von einem praxistheoretischen Ansatz („doing culture“) ist zu fragen, in welche Praxiszusammenhänge sich Raumabgrenzungen oder –entgrenzungen durch Schaffung von Differenz oder durch ihre Überbrückung oder gar Tilgung äußern. Grenzstreifen bieten zudem auch eine geeignete Kulisse für Verhandlungen und Aushandlungen von Bedeutung (Simmel), die z.B. in der Praxis des Warentausches bzw. in ihrer Verhinderung ein erhellendes Licht auf gesellschaftliche Zustände und die Möglichkeit der Ausreizung von Grenzen werfen.

Darüber hinaus richtet sich mit dieser spezifischen „Flussbevölkerung“ der Blick insbesondere auf Handlungsorte jenseits der Zentren und den Codes, die sie etablieren, auf Peripherien und Randgestalten als Produzenten von Gegencodes mit ihrem inbegriffenen Konfliktpotential (Lotman).

Durch die Interaktion mit dem Strom wird Wissen über größere – überregionale – und auch engere – regionale – räumliche Zusammenhänge aktiviert und auch produziert, was als Katalysator für kollektive Identitätsbildungen und –wandlungen wirkte. Inwiefern agiert der Strom aus der Perspektive von Migranten, Schmugglern und Grenzern zum einen als Bezugspunkt für regionale bzw. überregionale Identitäten und zum anderen als Vermittler zwischen Orten und Regionen? Von besonderem Interesse sind Umbruchzeiten (z.B. 1918, 1945, 1989) in ihrer Auswirkung auf die hier anvisierten Gruppen sowie mit Bezug auf die Prägung bestimmter Handlungsformen. Inwiefern bestätigen die Praxen dieser Gruppen regionale Grenzen, inwiefern schaffen sie einen „Sozialraum der Gesetzeslosigkeit“(Saurer)?

Angestrebt wird eine Reihe von Untersuchungen anhand von textbasierten Narrativen (literarisch-fiktionale, journalistische sowie Reisetexte), Alben und Filmen, die anhand dieser Interaktionen mit dem Strom eine Handlungskarte der Donau im 20. Jahrhundert und bis in die Gegenwart „von unten“ skizzieren.

Die Sektion ist Ergebnis einer Kooperation des IDGL (Dr. Olivia Spiridon) mit dem Germanistischen Institut an der ELTE (Dr. habil. Edit Király)

Kontakt: Olivia.Spiridon@idgl.bwl.de

Referate und Abstracts

Michael Weithmann (Passau): „A Hund is er scho". Die Migration eines Ausdrucks und seine bayerisch-ungarische Transfergeschichte

Im bairisch-österreichischen Dialektgebiet existiert die Benennung einer Person als "A Hund is er scho" oder "a so a Hundling". Aus dem Kontext ergibt sich, dass es sich keineswegs um einen pejorativen, sondern um einen affirmativ bewundernden Kraftausdruck handelt. Eine wissenschaftliche Erklärung bzw. Deutung existiert nicht. Mit dem Hund (canis vulgaris) hat er jedenfalls nichts zu tun.
Der vorgestellten These zufolge könnte das Ethnonym der "Hunnen" gemeint sein, aber nicht der Hunnen Attilas, sondern der donauländischen magyarischen Reiternomaden, die im 10. Jahrhundert entlang der Donau in Baiern einfielen und sich tief in die bairische oral history eingegraben haben. In den zeitgenössischen Schriftquellen und in den bairischen Sagen werden die Magyaren generell Hunnen genannt. Sie traten nicht nur als Gegner, sondern auch als Verbündete der Baiern auf.


Raluca Rădulescu (Bukarest): Hölderlins Donau-Hymnen als transkulturelles Projekt

Im dem 2016 erschienenen Essay “Mein Europa” (in Europa im Wort. Eine literarische Seismographie in sechzehn Aufzeichnungen, hg. v. Uwe Beyer) entwirft Peter Härtling ein Bild Europas, das im Mittelpunkt die Figur des Fremden/Flüchtlings/Migranten hat, der in der Geschichte dieses Kontinentes von der Zeit der Völkerwanderung bis in die Gegenwart ein Zeichen des ständigen Grenzenwandels und zugleich der dadurch geschaffenen Vielfalt einer Region darstellen soll, die er als “Flickenteppich” und “Gewebe” beschreibt.
Diese seit eh und je bestehende Gestalt sowie das Bild eines mosaikhaften Europa in progress treten nicht nur in zeitgenössischen Texten von Autoren mit Migrationshintergrund oder in der Exilliteratur des 20. Jahrhunderts, sondern auch bei einem kanonischen “klassischen” Autor wie Friedrich Hölderlin auf.
In einigen Gedichten aus Hölderlins Vaterländischen Gesängen wird der Donau eine besondere Bedeutung zugemessen, wobei ein transkulturelles Projekt zustandekommt, in dem die “Dissonanzen der Welt” (Hölderlin, Hyperion) durch Rückgriff zum aufklärerisch-klassizistischen Ideal einer Weltharmonie versöhnt werden. Viel spannender ist es aber für den heutigen Leser, Texte wie “Am Quell der Donau”, “Die Wanderung” oder “Der Ister”, die der Donau gewidmet wurden, - aber auch “Der Rhein”, “Der Main”, “Der Neckar” - aus der Sicht einer Poetik der “Trans”-Begriffe heranzugehen.
Diese Lesart möchte auf transnationale Konstellationen des Zusammentreffens von Völkern, Kulturen und Räumen (Deutschland/Schwarzwald – Italien – Donaudelta - Griechenland) sowie auf die Aufwertung des Morgenlandes mit dem Raum des Schwarzen Meeres als Alternative zum Südsee/Mediterranismus-Komplex und seine ästhetische Funktion über das Binom Eigenes-Fremdes hinaus untersuchen. An der Dynamik der Donau (und der Strommetaphern) von ihren Quellen bis zur Mündung, oder hingegen im Fall der “Ister”- Hymne zurück zur Quelle, werden Hybriditäts- und Interkulturalitätskonstellationen eingefangen, die identitäre Wandlungen bzw. nicht selten überraschende Hinterfragungen der überlieferten Identitätskonstruktionen erkennen lassen. Es ist beispielsweise die als “Fremdlingin” bezeichnete Donau, die zu einer “menschenbildenden Stimme” wird (“Am Quell der Donau”).
Somit soll auch die Bedeutung eines schon damals avant la lettre entworfenen Europa-Bildes als “das Eine in sich selber unterschiedne” (Hölderlin, Hyperion) erläutert werden.


Márta Fata (Tübingen): Die Donau in der historischen Erinnerung der Donauschwaben

Viele Donauschwaben wanderten im 18. Jahrhundert donauabwärts nach Ungarn aus und bewahrten in ihren Familienerzählungen den Strom als ihren Auswanderungsweg schlechthin. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Donau in die kollektive Erinnerung gerufen, als die ethnische Großgruppe – aufgeteilt unter den Nachfolgestaaten des historischen Ungarn – nach neuer Identität(en) suchte. Die Identitätsfrage stellte sich auch nach 1945, als die donauschwäbischen Gruppen durch Flucht und Vertreibung weiter geteilt wurden. Die Donau und Ulm an der Donau wurden vor allem für die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Donauschwaben zu historischen orientierungs- und identitätsstärkenden Orten. Nach dem Systemwechsel in den osteuropäischen Ländern erfolgte auch bei den dortigen Donauschwaben, vor allem bei den Ungarndeutschen, eine Neubewertung der Geschichte. Die Donau wird von ihnen nicht nur als Beginn der Auswanderung und somit der eigenständigen donauschwäbischen Geschichte, sondern zugleich als Verbindungsstrom zwischen alter und neuer Heimat erinnert.


Dorottya Csécsey (Budapest): Erinnerungen an einen Krieg. Franz Tumler: Sätze an der Donau und Heimrad Bäcker: Nachschrift

In Franz Tumlers Sätze von der Donau und in Heimrad Bäckers Nachschrift 1 und 2 bildet die Donau einen vollkommen anderen Bezugspunkt: In Tumlers 1964 veröffentlichten Prosa-Gedicht geht es scheinbar um subjektive Kindheitserinnerungen aus Linz während und nach dem Ersten Weltkrieg, während Heimrad Bäckers Nachschrift-Bände (1986 und 1997) durch ihren „Dokumentationscharakter“ einen hohen – wenn nicht den höchsten – Grad an Objektivität der Holocaustliteratur vertreten.
In beiden Texten geht es um Erinnerungen an einen Krieg und zwar auf verschiedene Weise, was spannende Fragestellungen ermöglicht: Wie verhalten sich individuelles und kollektives bzw. kulturelles Gedächtnis (Jan Assmann) zueinander? Wie lässt sich „Vergangenheitsbewältigung“ in beiden Texten vor einem literaturtheoretischen Horizont interpretieren? Wäre das – latente – „Schweigen“ Tummlers über den Zweiten Weltkrieg in den Sätzen von der Donau eine bewusste Strategie, ein „literarisch unstatthaftes Verfahren“ (Jean Améry), oder sollte es eher im Kontext des „strafenden Vergessens“ (Aleida Assmann) analysiert werden? Wäre dagegen die Offenlegung der „Totalität der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie“ bei Bäcker (Friedrich Achleitner), in der der Autor jede Stilisierung konsequent zu vermeiden scheint, als eine Art Zäsur der Dichtung im Sinne Adornos zu betrachten? Geht es hier um eine „rhetoric of fact“ (James E. Young) oder eher um eine (neo-)avantgardistische Tradition? Für eine parallele Betrachtung der beiden Werke ergibt sich auch die Frage, ob nicht unsere Perspektiven ständig im Fluss sind, während die Donau im Gegensatz zu unseren Perzeptionen als „einzig Beständige“ immer „stillsteht“ (Hans Dieter Zimmermann).


László Csősz (Budapest): Holocaust und Erinnerung an den Holocaust an der Donau

Die “Schuhe am Donauufer” sind durch ihre Verortung und ihren vertrauten Charakter eins der aussagestärksten Holocaustmahnmale in Europa. Die aus Kupfer verfertigten sechzig Paar Schuhe stehen für beinahe zehntausend Menschen, größtenteils Frauen, Ältere, Kranke und Kinder, die im Herbst und Winter 1944 von ungarischen Pfeilkreuzlern umgebracht wurden. Obwohl die Juden, die auf den Straßen von Budapest ermordet worden sind, weniger als fünf Prozent der Gesamtopfer ausmachen, ist ihr Schicksal zum Herzstück und Symbol des ungarischen Holocausts geworden. Sie wurden mitten in der ungarischen Hauptstadt unmittelbar vor Kriegsende hingerichtet. Über dieses Massaker gibt es sehr viel historisches Material und zahlreiche Augenzeugenberichte. Hinzu kommt, dass die Mörder als perfektes “Alibi der Nation” fungierten: Anstatt sich mit den komplexen Problemen der breitgefächerten Kollaboration und dem tiefwurzelnden Antisemitismus der ungarischen Gesellschaft auseinanderzusetzen, kam es späteren politischen Machthabern sehr entgegen, die ganze Schuld auf eine Handvoll Kollaborateure und die nationalsozialistischen Besatzer zu schieben. Der Vortrag möchte der Frage nachgehen, welche Rolle die Hinrichtungen am Donauufer im Besonderen und die ungarische Kollaboration im Allgemeinen in der Holocaust-Erinnerung der ungarischen Öffentlichkeit spielt. Darüber hinaus bietet er eine “dichte Beschreibung” der Ereignisse, einschließlich der soziologischen Profile und der Motivation der Täter sowie des politischen und soziologischen Kontextes. Es werden eine Vielfalt von Dokumenten präsentiert und analysiert, beginnend mit Erinnerungen von Überlebenden und Augenzeugen, über persönliche und offizielle Aufzeichnungen der Pfeilkreuzler Partei bis hin zu Protokollen der unmittelbar nach dem Krieg stattgefundenen Ermittlungen.


Muriel Blaive (Prag): Komárom/Komarno

Welche Bedeutung hat eine staatliche Grenze zwischen Menschen, die ambivalente Gefühle bezüglich ihrer Legitimität haben? Und welche Bedeutung hat eine staatliche Grenze, die auf der einen Seite Nationen mit einer antagonistischen Geschichte dazu zwingt, ein gemeinsames Schicksal zu teilen? Für die Untersuchung dieser Fragen bot sich die Grenzstadt Komárno (Slowakei) an. Meine Fragen richten sich an die komplizierte Beziehung zwischen Slowaken und slowakischen Ungarn und ihre jeweiligen identitätsbildenden Strategien. Ich habe versucht, die Wahrnehmung des „Anderen” in Komárno zu erforschen – sei es, dass es um die andere Nationalität in der gleichen Stadt oder von jenseits der Grenze geht. Meine Studie basiert auf 30 Interviews, die Schichten der oral history freilegen und um einige ethnographische Beobachtungen ergänzt werden. Ich habe dabei auch den Einfluss des Kommunismus und der Demokratie auf die nationale Frage mitreflektiert und versuchte zu analysieren, wie Identität durch Generation, Geschlecht, sozialen Kontext bzw. Lektüren der lokalen bzw. der nationalen Geschichte bestimmt wird. Die Studie stößt Reflexionen über die Bedeutung von lokalen, nationalen und transnationalen (europäischen) Identitäten an.

Mónika Mátay (Budapest): Die Sünde, die Stadt und die Donau

Budapest ist – ähnlich wie Berlin – eine junge Stadt, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in wenigen Jahrzehnten aus einer Stadt mittlerer Größe zu einer wirklichen Metropole entwickelt hat, zu einem kulturellen, wirtschaftlichen, Handels- und Verkehrsknotenpunkt. Um die Jahrhundertwende wurde sie dann zu einem jener „Stadt-Ungeheuer”, das in den Augen der kritischen Provinzler wie auch in der Wahrnehmung der hauptstädtischen Bevölkerung unendliche Möglichkeiten verhieß und zugleich auch Gefahren barg. Dank der kontinuierlichen und massiven Migrationsbewegungen ist im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ihre Bevölkerungszahl radikal angestiegen. Tagelöhner, Handwerker, Dienstmägde, abenteuerlustige junge Leute, die nach Arbeit und nach Broterwerb suchten, gelegentlich aber auch Vermögende strömten in die Hauptstadt.
Die Ankömmlinge kamen mit ungeheueren Erwartungen, aber mußten größtenteils Enttäuschungen erleben. Nicht nur der ersehnte pekuniäre Erfolg blieb für die meisten aus, aber es gelang überhaupt nur wenigen, eine annehmbare Existenz zu finden. Ähnlich den Großstädten Westeuropas wurde das Budapest der k. u. k. Monarchie von den Zeitgenossen als ein merkwürdiges Amalgam und als eine erschreckende Missgeburt wahrgenommen, wo selbstgefälliger Wohlstand und extremes Elend auf engstem Raum nebeneinander existierten. Das Ausgeliefertsein, die materielle wie moralische Entfremdung der Mittellosen wurde durch den Luxus der höheren Klasssen kontrapunktiert. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ging die massenhafte Vermehrung der Marginalisierten mit einem sprungartigen Anstieg der Kriminalität einher.
Die Donau, für das Leben der Stadt seit Jahrhunderten von symbolischer Bedeutung, spielte auch in der Kriminalität eine Schlüsselrolle: Sie verschlang die Ermordeten wie auch die Selbstmörder. In meinem Vortrag untersuche ich, welche Rolle sie im kollektiven Bewußtsein der Stadt und in der Öffentlichkeit der Jahrhundertwende spielte.


Alina Mazilu (Temeswar): Die rumänisch-jugoslawische Donau. Von der „blutigsten Grenze Europas“

Wenn sich die Sonne in den 1970er und 1980er Jahren im Westen neigte, haben viele rumänische Staatsbürger, aber auch manch ein Deutscher aus der DDR die Flucht über die Westgrenze Rumäniens gewagt. Stacheldraht und Wasser, die Donau, Schießbefehl und Folter haben sie nicht abgeschreckt. Der Drang nach Freiheit war so groß, dass sie ihr Leben riskierten. Die knapp 1000 Kilometer lange Westgrenze Rumäniens ist in den 1980er Jahren zur blutigsten in Europa geworden. Vermutlich sind an dieser Grenze mehr Menschen ums Leben gekommen als an der innerdeutschen. Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Sturz des rumänischen Diktators Nicolae Ceauşescu sind die Greueltaten an diesem Teil des Eisernen Vorhangs unbekannt. Ceausescus Grenzer haben willkürlich geschossen, sie haben gefasste Flüchtlinge totgeprügelt, in der Donau ertränkt oder mit Schnellbooten überfahren. Viele Opfer sind auf dem serbischen Donau-Ufer begraben worden. Auf jedem Friedhof auf der serbischen Seite gibt es wenigstens eine Reihe von Gräbern, in denen Opfer des unmenschlichen Grenzregimes ihre letzte Ruhe gefunden haben.


Edit Király (Budapest) und Olivia Spiridon (Tübingen): Das Donaudelta im Spiegel ungarischer und rumänischer Text- und Filmnarrative

Mit den Projektionen auf das Donaudelta in ungarischen und rumänischen Film- und Textnarrativen rückt statt der Grenze, die die beiden Länder voneinander trennt, der Zusammenhang in den Mittelpunkt, den der Strom herstellt. Entwürfe des Donaudeltas aus diesen beiden Perspektiven sind durch spezifische gesellschaftliche und zeitliche Kontexte gefiltert, aber auch die Nähe oder Ferne zur Donaumündung sind für die Vorstellung dieses Raums von Relevanz. Durch seine Abgeschiedenheit und die besondere geographische Beschaffenheit ist das Donaudelta geradezu prädestiniert, als ein „anderer Raum“ (Foucault) und dadurch als Auslagerungsort verschiedener Befindlichkeiten zu fungieren.
Ein berühmter Text der ungarischen Literatur des 19. Jahrhunderts macht das Donau-Delta zum Schauplatz einer Utopie. In Mór Jókais Roman des künftigen Jahrhunderts (1872-74) wird hier unter dem Namen „Heim-Staat” eine Art Musterkolonie errichtet. Statt einer Utopie wird die Landschaft der Donau-Mündung im Film Delta (2008) von Kornél Mundruczó eher als Heterotopie verstanden, als ein Ort „außerhalb aller Orte, wiewohl [er] tatsächlich geortet werden kann” (Foucault) und wird damit auch zum Ausdruck einer Diskontinuitätserfahrung (Warning). Mundruczó verarbeitet in seinem in zwei Etappen gedrehten Film neben Sujets der klassischen Dramenliteratur, wie Antigone und Hamlet, auch die Entstehung des eigenen Filmes, dessen vorgesehener Hauptdarsteller während der Dreharbeiten in einem Autounfall gestorben ist.
Auch in textbasierten und filmischen Narrativen aus Rumänien wird das Delta als ein „Ort außerhalb der Orte“ thematisiert, wie zahlreiche Beispiele belegen. Allerdings wird das Donaudelta in einer weiteren Gruppe von Texten als Innenraum dargestellt und zur nationalen Landschaft stilisiert, die feierlich begangen wird. Ein interessantes Beispiel bietet die Beschreibung einer Donaureise der rumänischen Königsfamilie von 1904 durch die Königin und Literatin Carmen Sylva, einer Adligen aus dem Hause Wied, die ihr Augenmerk intensiv auf die Bevölkerung der Ufer richtete. Abschließend sollen Erzähltechnik und Umgang mit der Bevölkerung des Deltas in textbasierten und filmischen Narrativen analysiert und die Rolle von ausgelagerten sowie von Innenräumen in den jeweiligen Gesellschaften diskutiert werden.


Filmpräsentation und Diskussion mit dem Filmemacher Adám Csillag
Die Entstehungsgeschichte des Films „Donausaurus“

Im Jahr 1984 einen Film über die geplante grandiose Landschaftsumgestaltung - die Wasserstufe Gabcikovó (Bős)-Nagymaros - zu drehen, war wie ein Sprung in die Finsternis. Man brauchte eine gehörige Portion Naivität zu glauben, man bliebe ungeschoren, wenn man die Wahrheit zeigt.
Ich habe mich in das Thema hineingetigert, als schon mehrere Intellektuelle sich beim Ausüben ihres Berufs vergeblich gegen diese Planungen positionierten.Sie stellten fest, dass ihre Meinung von den Entscheidungsträgern weitestgehend ignoriert wurde und beschlossen, die universitätre Jugend aufzurütteln. Sie organisierten daher öffentliche Diskussionen mit den Planern und Investoren.
Die Behörden haben zwei solche Diskussionen verhindert und anschließend auf einer Sitzung der Chefredakteure des Landes jede öffentliche Besprechung des Themas verboten.
Für mich als frisch diplomierten Filmregisseur war dies der Startschuss für mein Vorhaben, den Weg zur Wahrheit um jeden Preis bis zum Ende zu gehen und dies auch für die breite Öffentlichkeit zu ermöglichen.
Zwischen 1984 und September 1988 habe ich unter dem Schutzmantel des Filmstudios “Béla Balázs”, dann nach der ersten freien Demonstration im September 1988 den Film unverdeckt gedreht. Der Film wurde beendet, als das Einparteiensystem in den letzten Zügen lag. Die Demonstrationen gegen die Staustufe beschleunigten die politische Wende und sind emblematisch für den gesellschaftlichen Widerstand, der zum Zusammenbruch des Ostblocks führte.