Hauptseminar: Literatur und Migration. Eine Übersicht der deutschsprachigen interkulturellen Literatur nach 1945
Dr. Olivia Spiridon
Begriffe wie interkulturelle und transkulturelle Literatur, Literatur der Minderheiten, die „andere“ deutsche Literatur oder „Migrationsliteratur“ beschreiben die komplexe Wechselwirkung zwischen Literatur und Migration durch Einsatz verschiedener deutender Filter. Verständlich wird dieses Phänomen vor dem Hintergrund der Migrationsgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945, ihrer politisch-rechtlichen Bedingungen sowie wirtschaftlicher und sozialer Aspekte.
Thematisch sind zahlreiche Texte auf die Darstellung der verschiedenen Formen der physischen und symbolischen Grenzüberschreitung ausgerichtet – so etwa in den Erzählungen von Emine Sevgi Özdamar und Dimitré Dinev. Die Auseinandersetzung mit der verlassenen und narrativ konstruierten Heimat sowie mit ihrer Gesellschaft und Geschichte bildet einen weiteren thematischen Schwerpunkt, denkt man an die Romane von Herta Müller und Saša Stanišić. Darüber hinaus setzen sich Erzählungen über das Ankunftsland mit dem Fremdsein und dem Umgang mit Differenzen auseinander und sie beleuchten gesellschaftliche und sprachliche Ränder. Ein illustratives Beispiel stellt Kanak Sprak von Feridun Zaimoglu dar.
Das Seminar zielt auf einen Überblick über die deutschsprachige „Migrationsliteratur“. Im Fokus stehen die Phasen, Kontexte, der Wandel und Zäsuren dieser vielstimmigen Literatur sowie Faktoren, die ihre Rezeption gelenkt haben. Ihr Erfolg ist auf die Qualität dieser Texte zurückzuführen, die poetische Codes der Zwischenräume, der Ränder und von Zonen der Mischungen und Hybridisierungen hervorgebracht haben. Annäherungen an dieses literarische Phänomen erfolgt auch durch Berücksichtigung literatursoziologischer Faktoren, wie die Situation der Migranten und Postmigranten und ihre „Integration“ in die literarische Infrastruktur.
Zu fragen ist, welche Rolle Veränderungen des literarischen Feldes durch Schwerpunktverschiebungen in Verlagsprogrammen, die Etablierung von Literaturpreisen und die Entstehung einer interessierten Öffentlichkeit gespielt haben, aber auch, was diese Literatur über den Zuschnitt der zeitgenössischen Kultur aussagt.